Das Wissenschaftliche Institut des BVBC (WIB) hat am 4. Juni 2021 eine Stellungnahme zum EU-Richtlinienvorschlag zur nachhaltigkeitsbezogenen Unternehmensberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive) an das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz übermittelt.
Die Europäische Kommission hat am 21. April 2021 den Richtlinienvorschlag "Corporate Sustainability Reporting Directive - CSRD" vorgelegt, mit welchem u. a. die Vorgaben für die nichtfinanzielle (nunmehr: nachhaltigkeitsbezogene) Unternehmensberichterstattung geändert werden sollen. Der Vorschlag soll die Richtlinie 2013/34/EU ("Bilanz-Richtlinie"), die Richtlinie 2004/109/EG ("Transparenz-Richtlinie"), die Richtlinie 2006/43/EG ("Abschlussprüfer-Richtlinie") und die Verordnung 537/2014 ("Abschlussprüfer-Verordnung") ändern. Im Vorschlag der Europäischen Kommission sind u. a. folgende Änderungen vorgesehen:
- Der Anwendungsbereich wird auf alle Kapitalgesellschaften und haftungsbeschränkten Personenhandelsgesellschaften erweitert, die im bilanzrechtlichen Sinne groß oder die kapitalmarktorientiert sind (Ausnahme: Kleinstunternehmen), Die bisherige Grenze von mindestens 500 Beschäftigten entfällt.
- Der Lagebericht soll verpflichtend als Berichtsort vorgeschrieben werden.
- Es sollen detailliertere Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung eingeführt und eine Verpflichtung zur Berichterstattung nach verbindlichen EU-Standards geschaffen werden. Die Europäische Kommission will zukünftig Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung im Wege delegierter Rechtsakte erlassen. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) sollen einfachere Nachhaltigkeitsberichtsstandards geschaffen werden.
- Es soll klargestellt werden, dass die Unternehmen über nachhaltigkeitsbezogene Aspekte zu berichten haben, wenn eine der beiden Wesentlichkeitsperspektiven berührt ist. Zu berichten ist also darüber, wie sich nachhaltigkeitsbezogene Aspekte auf. die Geschäftstätigkeit des Unternehmens auswirken und umgekehrt, wie sich die Geschäftstätigkeit der Unternehmen auf die Nachhaltigkeitsaspekte auswirkt.
- Unternehmen sollen verpflichtet werden, ihre Jahresabschlüsse und Lageberichte elektronisch im xhtml-Format zu erstellen. Die Informationen in der Nachhaltigkeitserklärung als Teil des Lageberichts sollen darüber hinaus digital gekennzeichnet (getaggt) werden, so dass sie maschinenlesbar sind und in den im Aktionsplan der Kapitalmarktunion vorgesehenen europäischen Single Access Point einfließen können.
- Der Richtlinienvorschlag fordert erstmals die inhaltliche Prüfung der berichteten Informationen zu Nachhaltigkeitsaspekten. In einem ersten Schritt soll dies auf Basis einer "limited assurance" (begrenzte Sicherheit - prüferische Durchsicht) geschehen. Eine Prüfung mit hinreichender Sicherheit wird für die Nachhaltigkeitsberichterstgttung erst vorgesehen, wenn auf EU-Ebene spezifische Prüfungsstandards entwickelt und durch delegierten Rechtsakt festgelegt worden sind.
- Das Sanktionsregime im Rahmen der Bilanz-Richtlinie soll auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung erstreckt sowie deutlich präzisiert und ausgeweitet werden.
- Durch Änderungen der Transparenz-Richtlinie soll der Bilanzeid auch auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung bezogen werden. Außerdem sollen die neuen Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung auf alle Emittenten unabhängig von ihrer Rechtsform erstreckt werden, auch auf Emittenten aus Drittstaaten, die in Deutschland oder einem anderen EU-Staat gelistet sind.
- Es soll umfassende Änderungen der Abschlussprüfer-Richtlinie und der Abschlussprüfer- Verordnung geben. Das gesamte Berufsbild des Wirtschaftsprüfers soll an die Anforderungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung angepasst werden. Vorgesehen sind unter anderem Änderungen bei der Berufsausbildung und bei den Regelungen zum Berufsabschluss.
Stellungnahme des Wissenschaftlichen Instituts des BVBC (WIB)
Die Stellungnahme erfolgte durch Professor Dr. Ludwig Hierl, wissenschaftlicher Beirat des WIB sowie Professor insbesondere für Accounting, Controlling und Finance an der staatlichen Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heilbronn (zur PDF-Version).
1. Einordnung und Ziele des Richtlinienvorschlags
Der von der EU-Kommission am 21. April 2021 vorgelegte Vorschlag zur Änderung der bisherigen CSR-Richtlinie 2014/95/EU vom 22. Oktober 2014 soll mit dazu beitragen, die Zielsetzung einer europäischen Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 zu erreichen. Der sog. European Green Deal, bei dem Europa als erster Kontinent in einer Nettobetrachtung keine Treibhausgase mehr emittieren möchte, soll den Erhalt und den Ausbau von Lebensqualität und Wirtschaftswachstum ermöglichen, ohne dabei die Gesundheit und das Wohlergehen der Bevölkerung durch negative Umweltfolgewirkungen zu gefährden. Die wichtigsten Maßnahmen hierzu (u.a. ein Europäisches Klimagesetz, vgl. 2020/0036 COD) finden sich im Anhang der Kommissionsmitteilung COM (2019) 640 final. Um von allen Wirtschaftssektoren adäquate Maßnahmen einfordern, im Gegenzug aber auch bei der erforderlichen Transformation finanziell und technisch unterstützen zu können, sind weitere und bessere Datenbasen als die bislang vorhandenen erforderlich. Es sind detaillierte Informationen zu erheben, welche Unternehmen welche positiven, aber auch welche negativen Folgen verursachen sowie mit welchen positiven wie negativen Einwirkungen von außen Unternehmen konfrontiert werden.
Die bisherige CSR-Richtlinie, welche die Bilanzrichtlinie 2013/34/EU insbesondere um Artikel 19a und damit um eine sog. nichtfinanzielle Erklärung ergänzte und von den davon betroffenen Unternehmen seit dem Geschäftsjahr 2017 anzuwenden ist, vermag nach Ansicht der EU-Kommission nicht länger die zwischenzeitlich erweiterten nachhaltigkeitsbezogenen Informationsbedarfe verschiedener Stakeholder zu erfüllen. Viele Unternehmen berichten nicht, nicht hinreichend oder in einem schwer find- und auswertbaren Format. Dies erschwert die Kapitalallokation in Richtung umweltvorteilhafterer sowie sozial nachhaltiger wirtschaftender Unternehmen. Die Notwendigkeit einer integrierten Steuerung und Berichterstattung von finanziellen und nichtfinanziellen Unternehmensaspekten wird anerkannt und mit diesem Vorschlag vorangetrieben. Die angedachte CSR-Novelle ist im Hinblick auf ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeitsaspekte in Verbindung zu sehen unter anderem mit den Leitlinien für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen (2017/C 215/01 sowie 2019/C 209/01), der EU-Taxonomie-Verordnung 2020/852, der EU-Verordnung 2019/2088 zu Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor, dem Richtlinienvorschlag zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit (2021/0050 COD) sowie der Richtlinie über die Rechte von Aktionären 2017/828.
2. Wesentliche Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage sowie deren Beurteilung
Die derzeit geltende CSR-Richtlinie 2014/95/EU ist mit dem Umsetzungsgesetz vom 11. April 2017 mit viermonatiger Umsetzungsfristüberschreitung rückwirkend zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten. Kapitalgesellschaften, die groß im Sinne des § 267 III HGB sowie kapitalmarktorientiert sind (letzteres ist bei Kreditinstituten sowie Versicherungsunternehmen nicht erforderlich, vgl. §§ 340a Ia, 341a Ia HGB) sowie im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Arbeitnehmer*innen beschäftigen, sind seit dem Geschäftsjahr 2017 verpflichtet, den Lagebericht auf Einzel- und/oder Konzernebene um Informationen zur Corporate Social Responsibility zu erweitern. Diese sog. nichtfinanzielle Erklärung kann in den Lagebericht integriert, oder dort, oder an anderer Stelle des Geschäftsberichts in einem gesonderten Abschnitt dargestellt werden. Des Weiteren ist gemäß §§ 289b III, 315b III HGB auch ein gesonderter nichtfinanzieller Bericht außerhalb des Lageberichts zulässig, der über den Bundesanzeiger oder über eine Internetseite des Unternehmens veröffentlicht werden kann. Entgegen der sonstigen Prüfpflicht von Abschlussunterlagen und Lagebericht, sowie unabhängig von der gewählten Darstellungs- und Ausführungsform, ist bei der bisherigen nichtfinanziellen Berichterstattung lediglich formal zu prüfen, ob diese vorgelegt wurde. Eine inhaltliche Prüfung ist bislang nicht verpflichtend. Freiwillig ist sie insbesondere im Interesse des Aufsichtsrats möglich, wobei dann auch das Beurteilungsergebnis zu veröffentlichen ist (vgl. §§ 315b IV, 316, 317 II HGB). Die eigenständige Prüfungspflicht des Aufsichtsrats auf Recht-, Ordnungs- und Zweckmäßigkeit der nichtfinanziellen Erklärung beziehungsweise des gesonderten nichtfinanziellen Berichts besteht davon unbenommen fort (vgl. § 171 I AktG; nationale Ergänzung der bisherigen CSR-Richtlinie).
Sofern der Richtlinienvorschlag in der vorliegenden Form verabschiedet und anschließend in deutsches Recht umgesetzt wird, ergeben sich insbesondere die nachfolgend beschriebenen Änderungen.
a) Erhebliche Erweiterung der von einer Berichtspflicht betroffenen Unternehmen
Bei der Umsetzung der bisherigen CSR-Richtlinie in nationales Recht wurde aus der europäischen Formulierung „von öffentlichem Interesse“ (2013/34/EU, Art. 19a I) mit Ausnahme von Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen ein „kapitalmarktorientiert im Sinne des § 264d“ (§ 289b I Nr. 2 HGB), wodurch ohne Kapitalmarktorientierung insbesondere große Kapitalgesellschaften sowie haftungsbeschränkte Personengesellschaften (z.B. GmbH & Co. KG, die in Deutschland gemäß destatis-Umsatzsteuervoranmeldungsstatistik zweitbedeutendste Rechtsform im Hinblick auf das Liefer- und Leistungsvolumen) von einer verpflichtenden Anwendung ausgenommen bleiben konnten. Im vorliegenden Entwurf wird sowohl auf das Beschäftigtenkriterium als auch auf den Hinweis „von öffentlichem Interesse“ verzichtet. Bei einer nationalen Umsetzung entfiele somit die Option, Unternehmen aufgrund einer nicht vorhandenen Kapitalmarktorientierung von dieser Regelung auszunehmen. Dies bedeutet, dass sich der Berichtskreis zunächst im Grundsatz erweitern würde auf sämtliche große Kapitalgesellschaften sowie auf sämtliche Unternehmen, die aufgrund einer Haftungsbeschränkung als solche behandelt werden (vgl. §§ 264a I, 267 III HGB). Obgleich Kapitalgesellschaften bei einer Kapitalmarktorientierung stets als große Gesellschaft behandelt werden, sieht der Richtlinienvorschlag zunächst eine um drei Jahre verlängerte Umsetzungsfrist (bis zum 1. Januar 2026) sowie noch zu entwickelnde Berichtstandards für kleine und mittelgroße kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften vor. Von einer Nachhaltigkeitsberichterstattungsverpflichtung ausgenommen bleiben (zunächst) kapitalmarktorientierte Kleinstkapitalgesellschaften. Weil die Überschreitung von zwei der drei relevanten HGB-Größenkriterien Bilanzsumme, Umsatzerlöse und Mitarbeiterzahl für eine entsprechende Größeneinstufung ausreicht, sind Kapitalgesellschaften mit mehr als 20 Mio. Euro Bilanzsumme und mehr als 40 Mio. Euro Umsatzerlöse theoretisch bereits ab dem ersten Beschäftigten als groß einzustufen. Daneben wäre bei Kreditinstituten und Versicherungsunternehmen das Vorliegen einer Kapitalgesellschaftsrechtsform nicht länger relevant, die Berichtsverpflichtung würde entstehen „regardless of their legal form“ (2013/34/EU, Art. 1 Nr. 3).
Beurteilung: Der Themenbereich Nachhaltigkeit kann und sollte aufgrund seiner überragenden Bedeutung durchaus in der Mehrheit der unternehmerischen Entscheidungsmatrizen Berücksichtigung finden. Bei einer schrittweisen Erweiterung des zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichteten Anwendungsbereichs von derzeit 11.600 auf zukünftig etwa 49.000 Unternehmen1), mit einer perspektivisch nicht abwegig erscheinenden vollständigen Entkoppelung von Größenordnung2) und Rechtsform3), wäre allerdings zu hinterfragen, ob damit die intendierte Zielerreichung gelingt beziehungsweise nicht auch anderweitig erreicht werden könnte. Zu prüfen wäre, ob vereinzelt als sensibel beziehungsweise vertraulich einzustufende Kennzahlen und Informationen zu nachhaltigkeitsbezogenen Themenbereichen nicht beispielsweise über das bestehende statistische Meldesystem erhoben werden könnten. Zumal dort keine Einsichtnahme durch insbesondere den Wettbewerb möglich wäre. Der Prüfungs- und Sanktionsrahmen könnte hierfür entsprechend erweitert werden. Die vorherrschende Ansicht der weitgehenden Unbedenklichkeit der umfassenden Offenlegung nachhaltigkeitsbezogener Informationen, insbesondere bei nicht kapitalmarktorientierten Unternehmen, wird nicht geteilt. Die Sustainable Finance-Regulierung erscheint insgesamt eher für kapitalmarktorientierte Unternehmen beziehungsweise deren Produkte und Finanzdienstleistungen passend. Hinweise wie „to identify prompt and reliable payers“ (Präambel Nr. 44) suggerieren einen (ungewollten) Datenaustausch mit anderen Unternehmen und lassen datenschutzrechtliche Bedenken erahnen.
1) In Conclusio einer in DB 16/21 S. 805 zitierten DRSC-Schätzung wäre in Deutschland ein Anstieg von etwa 500 auf 15.000 nachhaltigkeitsberichtspflichtige Unternehmen zu erwarten.
2) Das bei kleinen Kapitalgesellschaften fehlende Erfordernis zur Erstellung eines Lageberichts wäre hierfür lediglich ein gesetzgebungsgebundenes Hemmnis. Einerseits könnte § 264 I S. 4 HGB ersatzlos gestrichen oder die zukünftig zwingend dem Lagebericht zuordenbaren Inhalte (vgl. d) auch wieder anderweitig verortet werden.
3) Für Nicht-Kapitalgesellschaften ist die Erstellung eines Lageberichts derzeit größenunabhängig nicht vorgesehen. Der Fortbestand dieser Regelung obliegt ebenfalls der Entscheidung der Gesetzgebung.
b) Streichung der Wahl der Nutzung von Rahmenwerken
Für die Erstellung der nichtfinanziellen Erklärung konnten verpflichtete Unternehmen bislang entscheiden, ob und welche nationalen, europäischen oder internationalen Rahmenwerke hierzu genutzt werden. In weit überwiegender Anzahl basiert die derzeitige Nachhaltigkeitsberichterstattung in Deutschland, in Europa und auch weltweit auf den Leitlinien der Global Reporting Initiative (GRI).
Die EU erachtet allerdings sämtliche bereits vorhandenen Nachhaltigkeitsberichtsstandards als nicht hinreichend, ihre Bedarfe und Ziele zu erreichen und hat daher die European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG) beauftragt, einen neuen europäischen Standard zu entwickeln. Erste Entwürfe sollen Mitte 2022 vorliegen. Etablierte Institutionen und Rahmenwerke wie die Global Reporting Initiative (GRI), das Sustainability Accounting Standards Board (SASB), das International Integrated Reporting Council (IIRC), das Climate Disclosure Standards Board (CDSB) oder das CDP (ehemals Carbon Disclosure Project) werden in die Ausarbeitung einbezogen. Für kleine und mittelgroße kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften soll ein eigener, komplexitätsreduzierter Standard entwickelt werden. Im Februar 2021 hat das EFRAG „Proposals for a relevant and dynamic EU sustainability reporting standard-setting“ (https://www.efrag.org/Lab2) vorgelegt. Das 228-seitige Hauptdokument wird ergänzt um sechs umfassende Anhänge. Bis Mitte 2022 sollen die ersten Standards zur Verfügung stehen, eine Verabschiedung auf EU-Ebene ist bis zum 31. Oktober 2022 vorgesehen. Standards für kleine und mittlere kapitalmarktorientierte Unternehmen (KMU) sollen bis zum 31. Oktober 2023 vorliegen. Bezüglich der Organisations- und Finanzierungsstruktur der EFRAG besteht allerdings noch ein Anpassungsbedarf (vgl. ec.europa.eu/info/publications/210308-efrag-reports_en).
Beurteilung: Es bleibt abzuwarten, ob die Entwicklung der neuen Rahmenwerke durch die EFRAG fristgerecht abgeschlossen werden kann. Der Umstand, dass die EFRAG ihre Organisations- und Finanzierungsstruktur noch nicht anpassen konnte, reduziert die Eintrittswahrscheinlichkeit, dass dies gelingt. Zudem ist noch unklar, ob die Einbindung der etablierten Institutionen zu einem kumulierten Übermaß an Berichtsinhalten führen (ein bei den GRI-Standards vorgebrachter Kritikpunkt) oder eine Fokussierung auf zentrale Untersuchungsbereiche gelingen wird. Vor dem Hintergrund der klimapolitischen EU-Zielsetzung überrascht die Betonung der Umweltaspekte Klima, Luft, Wasser, Land, Biodiversität und Energie nicht und birgt die Aussicht, dass andere Aspekte weniger ausgeprägt Beachtung finden. Unabhängig davon sollte die Möglichkeit aufrechterhalten werden, auf Ausführungen zu verzichten, wenn daraus für das berichtende Unternehmen eine erhebliche nachteilige Wirkung zu erwarten ist (vgl. § 289e HGB). Des Weiteren erscheinen Erstanwendungs- beziehungsweise Umsetzungsfristen insgesamt zu ambitioniert und sollten verlängert werden. Eine internationale, den europäischen Raum übersteigende Harmonisierung sollte durch den Einbezug der internationalen Institutionen und Rahmenwerke gelingen. Bei den zu entwickelnden Standards sollte prozessbegleitend eine kritische Prüfung von Angemessenheit und Proportionalität sichergestellt werden.
c) Erweiterung der Berichtspflichten
In einer nichtfinanziellen Erklärung ist bislang das Geschäftsmodell der Kapitalgesellschaft zu beschreiben. Darüber hinaus ist auf Umweltbelange, Arbeitnehmerbelange, Sozialbelange, die Achtung der Menschenrechte sowie die Bekämpfung von Korruption und Bestechung einzugehen. Gemäß § 289c III HGB sind jeweils Angaben zu machen, die für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage der Kapitalgesellschaft sowie den Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die zuvor genannten Aspekte erforderlich sind. Zur Unterstützung einer Standardisierung und besseren Vergleichbarkeit der Angaben von Unternehmen wurde die CSR-Richtlinie von Seiten der EU durch unverbindliche Leitlinien für die Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen ergänzt (2017/C 215/01), welche 2019 nochmals erweitert wurden (2019/C 209/01). Die Berichtspraxis ist dennoch europaweit wohl weiter von Heterogenität und einem gering ausgeprägten Übereinstimmungsgrad selbst im intersektoralen Wettbewerbsvergleich geprägt.
Mit der Taxonomie-Verordnung 2020/852 wurde zwischenzeitlich ein Klassifizierungsrahmen für nachhaltige Tätigkeiten geschaffen. Im CSR-Richtlinienvorschlag ist in Artikel 19a II ein dazu konsistenter Berichtsrahmen vorgesehen. Betroffene Unternehmen sollen entlang ihrer Wertschöpfungskette sowohl qualitative und quantitative als auch zukünftige und retrospektive Informationen angeben sowie dabei zeitlich nach einer kürzeren, einer mittleren und einer längeren Betrachtungsperspektive unterscheiden. Im EFRAG-Konzept der „three layers of reporting“ (https://www.efrag.org/Lab2, S. 9) ist eine Unterteilung nach unternehmensübergreifenden, sektorspezifischen sowie unternehmensspezifischen Berichtsfeldern vorgesehen. Insbesondere die Informationsaufbereitung zu nicht bilanzierungsfähigem immateriellen Vermögen, wie beispielsweise Human-, Sozial- oder Beziehungskapital, ist bei einem Offenlegungserfordernis nicht frei von Bedenken. Die bisher durchzuführende Wesentlichkeitsanalyse wird mit einer doppelt vorzunehmenden Relevanzabfrage konkretisiert. Unternehmen sollen sowohl Informationen veröffentlichen, die wesentlich nach außen wirken (Inside-Out), als auch Informationen, die von außen wesentlich auf das Unternehmen einwirken (Outside-In). Die Verwendung von relevanten Nachhaltigkeitsfaktoren soll sich dabei weitest möglich an der EU-Verordnung 2019/2088 orientieren.
Beurteilung: Der in die Richtlinie aufgenommene Berichtsrahmen muss aufgrund seiner sektoralübergreifenden Zuständigkeit wohl abstrahierend und damit nicht spezifiziert formuliert verbleiben. Das EFRAG-Konzept erscheint im Hinblick auf die vorgesehene Ziel-Architektur einer plattformbasierten Nachhaltigkeitsberichterstattung (vgl. www.efrag.org/Lab2, S. 12) stringent, kann allerdings aufgrund einer fehlenden Fertigstellung noch nicht beurteilt werden (vgl. Hinweise zu b).
d) Streichung der Wahl des Berichtsorts
Die Wahl, ob und wie die nichtfinanzielle Erklärung in den Lagebericht aufgenommen, oder gesondert im Geschäftsbericht oder in einem separaten Bericht dargestellt und zusammen mit dem Lagebericht über den Bundesanzeiger oder über die Unternehmenshomepage offengelegt wird, obliegt bisher der Entscheidung des Unternehmens.
Zukünftig soll die Möglichkeit entfallen, die Nachhaltigkeitsberichterstattung außerhalb des Lageberichts darstellen zu können. Dadurch soll zum einen die Kohärenz zwischen Finanz- und Nachhaltigkeitsinformationen verbessert werden. Zum anderen wird so eine stärkere Angleichung und damit eine Verbesserung der Vergleichbarkeit der Berichterstattung von Unternehmen erwartet.
Beurteilung: Durch die bisherige Entkopplung der Nachhaltigkeitsberichterstattung vom strengen Formalkonzept der Finanzberichterstattung hat sich die Möglichkeit ergeben, mit einer lesefreundlichen, um grafische Elemente ergänzten Aufbereitung einen größeren Adressatenkreis zu erschließen. Es mag zutreffen, dass manche Unternehmen dies für ein sog. Greenwashing missbraucht haben. Dies allerdings als Anlass zu nehmen, eine zwingende Lageberichtsverortung mit der damit verbundenen weitgehend starren Berichtskonzeption vorzugeben, könnte dazu führen, dass sich die (neu gewonnene) Zielleserschaft von diesem Themengebiet wieder abwendet. Ob die Rechnungslegung, und mit ihr insbesondere der Lagebericht, der geeignete Ort für nachhaltigkeitsbezogene sowie moral-ethische Überlegungen ist und inwiefern diese hinreichend quantifiziert sowie mit Kausalitätsbeziehungen versehen werden können, bleibt zudem fraglich. Dem Lagebericht droht eine weitere Überfrachtung mit Informationen, die eine Orientierung erschweren.
e) Verpflichtung zur Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung
De lege lata ist bislang im Rahmen der Abschlussprüfung lediglich formell zu kontrollieren, ob eine nichtfinanzielle Berichterstattung vorgenommen wurde (vgl. § 317 II S. 4 HGB). Erfolgt diese erst zu einem späteren Zeitpunkt in einem gesonderten Bericht, ist eine ergänzende Prüfung vorzunehmen. Konkrete Formulierungsbeispiele in Abhängigkeit der gewählten Offenlegungsvariante hat das IDW mit dem Prüfungshinweis PH 9.350.2 am 29. Oktober 2020 zur Verfügung gestellt.
Mit der verpflichtenden Verortung der Nachhaltigkeitsberichterstattung innerhalb des Lageberichts ist zukünftig eine materielle Prüfung vorgesehen. In einem ersten Schritt soll diese lediglich mit begrenzter Sicherheit (limited assurance) vorgenommen werden. Ziel ist die Bestätigung, dass die berichteten Informationen zutreffend und verlässlich sind. Die flankierenden Anpassungen in der Abschlussprüfer-Richtlinie 2006/43/EC sowie der Abschlussprüfer-Verordnung 537/2014 sollen sicherstellen, dass sowohl die zukünftigen als auch die bereits öffentlich bestellten Abschlussprüfer im Sinne des „continuing education requirement“ (2006/43/EC, Art. 14a) hierfür über eine hinreichende Qualifikation verfügen. Die Abrechnung einer Beratungsleistung durch den Abschlussprüfer für die Unterstützung bei der Erstellung einer Nachhaltigkeitsberichterstattung soll ebenso verboten werden wie die Abrechnung von Nicht-Auditierungsleistungen während des Zeitraums der Durchführung der Prüfung (537/2014, Art. 5). Für Mitgliedstaaten besteht die Option, für die Prüfung der Nachhaltigkeitsberichterstattung mit sog. independent assurance services providers auch Nicht-Abschlussprüfer zuzulassen. Damit soll der Gefahr einer weiteren Marktkonzentration innerhalb der Abschlussprüfer entgegengewirkt werden (Präambel Nr. 54).
Beurteilung: Die Integration von Finanz- und Nachhaltigkeitsberichterstattung erfordert nicht zwingend eine Personalunion bei der Prüfung. Der Vorteil von Synergieeffekten aufgrund einer Kenntnis der unternehmensspezifischen Systeme, Prozesse und Risiken aus der Abschlussprüfung könnte im Einzelfall durch den Nachteil der beeinträchtigten Unvoreingenommenheit bei der Nachhaltigkeitsprüfung übertroffen werden. Es wird daher empfohlen, das Mitgliedstaatenwahlrecht auszuüben. Fraglich bleibt, ob und wie es gelingen wird, für Stakeholder in nachvollziehbarer Weise zu erklären, welche Prüfungshandlungen zur Beurteilung der inhaltlichen Richtigkeit der nichtfinanziellen Berichterstattung vorgenommen werden. Bereits derzeit ergibt sich systemimmanent bei einer einschränkungsfreien Attestierung einer Übereinstimmung von Jahresabschluss und Lagebericht mit den geltenden Rechnungslegungsvorschriften eine Erwartungslücke. Diese wird sich bei einer verpflichtenden Erweiterung des Prüfungsmandats tendenziell weiter vergrößern.
f) Verpflichtung zur Bereitstellung im elektronischen Format ESEF
Offenlegungspflichtige Abschlussunterlagen im Sinne von § 325 I HGB sind „elektronisch beim Betreiber des Bundesanzeigers in einer Form einzureichen, die ihre Bekanntmachung ermöglicht“. Kapitalmarktorientierte Unternehmen haben darüber hinaus § 328 I HGB zu beachten und ihre Unterlagen seit dem Geschäftsjahr 2020 in einem einheitlichen elektronischen Berichtsformat offenzulegen, das gemäß Art. 3 der delegierten Verordnung EU 2018/815 ein „XHTML-Format“ ist.
Dieses European Single Electronic Format (ESEF) soll gemäß Art. 19d des CSR-Richtlinienvorschlags nun auch für die von einer Nachhaltigkeitsberichterstattungspflicht betroffenen Unternehmen verpflichtend vorgegeben werden. Zusätzlich wäre ein „mark-up“ (bzw. tagging) entsprechend einem noch zu entwickelnden Kategorisierungssystem vorzunehmen.
Beurteilung: Abschlussunterlagen in elektronischer Form zu erstellen und zu publizieren, damit sie anschließend von interessierten Berechtigten elektronisch abgerufen werden können, sollte heutzutage als selbstverständlich angesehen werden. Kritikwürdig ist allerdings, dass hiermit das ESEF-System auf einen Berichtskreis übertragen wird, für den dieses (noch) nicht vorgesehen ist. Entgegen der erwarteten Komplikationen bei der inhaltlichen Umsetzung durch die Nachhaltigkeits-Erstberichterstatter ist allerdings anzunehmen, dass nicht-kapitalmarktorientierten Unternehmen eine technische Umsetzung weitgehend friktionsfrei gelingen könnte. Der Bundesanzeiger stellt über seine Homepage eine ESEF-Anwendung zur Erstellung oder Prüfung von Jahresfinanzberichten im ESEF-Berichtsformat zur Verfügung. Der ESEF-Bericht kann im XHTML-Format erstellt, mit XBRL-Tags versehen und an das Unternehmensregister übertragen werden, dem in Deutschland zuständigen „Officially Appointed Mechanism“ (OAM). Derzeit scheint lediglich noch die dafür erforderliche Schnittstelle zu fehlen. Bei einer erfolgreichen Umsetzung des noch zu entwickelnden European Single Access Point (Zentralregister) läge die Datenhoheit allerdings wohl nicht länger in Deutschland.
3. Ergänzende Hinweise zu (weiteren) ausgewählten Inhalten im Einzelnen
Präambel Art. 1: Die Anführung der COVID-19-Pandemie als Begründungsbestandteil für ein CSR-Reformerfordernis erscheint argumentativ überstrapaziert und in der Wortwahl zu emotional geprägt („damage“, „recovery“), zumal sich zumindest auf kürzere Sicht auch positive ökologische sowie sozioökonomische Folgewirkungen ergeben.
Das avisierte Inkrafttreten der Regelungen bereits ab der Berichtsperiode 2023 ist kritisch zu hinterfragen. Insbesondere die von der Erweiterung des Berichtskreises erstmals betroffenen Unternehmen werden eine längere Vorbereitungs- und Umstellungszeit benötigen. Und selbst die Unternehmen, die bereits heute eine nichtfinanzielle Erklärung abgeben, müssen die Vorlage der noch zu entwickelnden Nachhaltigkeitsberichtstandards abwarten und können anschließend erforderliche Adaptionen wohl kaum nahezu unmittelbar umsetzen. Sowohl auf Einzelabschluss-, als insbesondere auch auf Konzernabschlussebene sind zudem Prozesse zu installieren, die es ermöglichen, eine Aggregation von Nachhaltigkeitsinformationen zeitgleich mit den Finanzdaten vorzunehmen. Eine der Finanzberichterstattung zeitlich nachgelagerte Nachhaltigkeitsberichterstattung wäre nicht mehr zulässig.
Art. 51 (Penalties): Derzeit ist im Richtlinienvorschlag lediglich vorgesehen, dass Strafmaßnahmen „effective, proportionate and dissuasive“ sein sollen, auf eine Konkretisierung wird (noch) verzichtet. Bei einer nationalen Umsetzung erscheint es somit hinreichend, gegebenenfalls lediglich die §§ 331 - 335c HGB redaktionell anzupassen.
4. Zusammenfassung und Fazit
In einer Demokratie ergeben sich legislative Gestaltungen im Austausch und in der Abwägung von bisweilen diametral entgegenstehenden Argumenten unterschiedlicher Interessen(gruppen). In einer subjektiven Gesamtschau dient der vorliegende Richtlinienvorschlag zur Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsberichterstattung der Erreichung von hehren Zielen und erscheint insbesondere im Hinblick auf eine weitere Synchronisierung der europaweiten Unternehmensberichterstattung im Grundsatz begrüßenswert. Bei einer genaueren Betrachtung ergeben sich sowohl bei der Ausdehnung des betroffenen Berichtskreises auf nicht kapitalmarktorientierte Unternehmen als auch bei der zu erwartenden inhaltlichen Berichtspflichtgestaltung und schließlich bei der erwartungslückenfördernden Pflicht-Auditierung Limitationen sowie Ansätze zur Verbesserung.
Der gesamte legislative Handlungsrahmen, mit dem Unternehmen heutzutage nahezu branchenunabhängig konfrontiert werden, ist in seinem Umfang und seiner Komplexität selbst von Experten kaum zu durchdringen. Eine Fokussierung auf zentrale Regelungsziele sowie die Vermeidung von unnötigen bürokratischen Hürden auf einzelwirtschaftlicher Ebene sollten daher die Maxime jeglichen politischen Handelns bilden. Sofern im vorliegenden Fall ein Erfordernis zur staatlichen Intervention mit einem wohl deutlich zunehmenden regulatorischen Verpflichtungsumfang anerkannt wird, so wird dies zumindest mit der Erwartung einer weitestmöglichen Harmonisierung und Synthese gegenwärtiger und zukünftiger nachhaltigkeitsbezogener Regularien verbunden. Unter anderem sollte daher das auf europäischer und auf nationaler Ebene vorgesehene Lieferkettengesetz ebenfalls stringent in diesen Bezugsrahmen eingebettet werden. Zur Vermeidung von Redundanzen schließt dies die Zulässigkeit der Bündelung von Berichtsinhalten sowie des Verweises auf an anderer Stelle offengelegte Informationen ein. In Anlehnung an den Triple-Bottom-Line-Ansatz sollte der Bereich Ökonomie gegenüber Ökologie und Sozialem im Gleichgewicht verbleiben.